Indien vor dem Papstbesuch: Gratwanderung auf dem Weg der Versöhnung
Den Christen Indiens bläst der Wind derzeit frontal ins Gesicht. Seit Wochen stehen vor allem in den nördlichen Unionsstaaten Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Christen auf der Tagesordnung. Trotz der Spannungen dominiert auf kirchlicher Seite die Zuversicht, der Besuch des Papstes vom 5. bis zum 8. November in New Delhi werde für eine Beruhigung des angespannten Klimas sorgen.
Zweifellos belastet der Terror das ohnehin fragile Verhältnis zwischen den Christen und den fundamentalistischen Hindu-Gruppierungen, von denen manche in den dreißiger und vierziger Jahren "in arischer Gemeinsamkeit" intensive Beziehungen mit dem deutschen Nationalsozialismus unterhielten. Ende September etwa wurde eine Nonne gewaltsam entkleidet und gezwungen, den Urin ihres Entführers zu trinken, Anfang des selben Monats kam ein Priester im Unionsstaat Orissa bei einer Messerstecherei ums Leben, und Mitte August zwangen Attentäter Christen im westindischen Rajastan, eine Hindugottheit anzubeten. Seit Jänner dieses Jahres sind nach Agenturangaben bei rund 100 Angriffen auf christliche Einrichtungen landesweit sechs Menschen ums Leben gekommen.
Die Situation wird dadurch kompliziert, dass es zwischen den extremistischen Hindu-Gruppierungen wie der RSS und der Regierungspartei BJP eine "Grauzone" der Komplizenschaft vor allem auf lokaler und regionaler Ebene gibt. Die tonangebenden "Shris" in den klimatisierten Büros in New Delhi mögen sich dieser Komplizenschaft nicht immer bewusst sein - aber sie funktioniert.
Wachsende Minderheit
Der Subkontinent zählt zu den Ländern, in denen die katholische Kirche trotz ihrer Situation als religiöse Minderheit in den vergangenen Jahrzehnten eine rasche Ausbreitung verbuchen konnte. Mit mehr als 17 Millionen Katholiken unter der Leitung von rund 140 Bischöfen ist die Kirche eine zwar kleine, aber wachsende Minderheit. Vor 13 Jahren, als der Papst zum ersten Mal in das Riesenland reiste, waren es 13 Millionen.
Nach Einschätzung des Erzbischofs von Delhi, Alan de Lastic, der zugleich Vorsitzender der indischen Bischofskonferenz ist, werden mit den Angriffen nicht nur die religiösen Gefühle vieler Inder verletzt. Die Verbindungen zwischen BJP und den Terrorkommandos offenbarten auch ein zutiefst gespaltenes Verhältnis der Regierung zu Menschenrechtsfragen, vor allem der in der Verfassung verbrieften Religionsfreiheit.
Stein des Anstoßes ist in den Augen extremistischer Hinduführer unter anderem auch der Plan des Vatikans, während des Papstbesuchs das Abschlussdokument der großen Asien-Synode "Ecclesia in Asia" zu veröffentlichen. Von radikal-hinduistischer Seite wird der Kirche vorgeworfen, es handle sich in erster Linie um einen "Masterplan" zur christlichen Missionierung Asiens für das kommende Jahrtausend. Ziel verschiedener hinduistischer Verbände wie etwa des Welt-Hindurats "Vishwa Hindu Parishad" ist es nun, dem Papst eine absurde "Verurteilung" von Bekehrungen zum Christentum abzuringen.
Die hinduistischen Radikalen stoßen allerdings auf den entschlossenen Widerstand der indischen Christen, die immer wieder darauf verweisen, dass das Christentum in Indien seit fast 2.000 Jahren - seit den Tagen des Apostels Thomas - präsent und keineswegs eine Frucht des neuzeitlichen Kolonialismus ist.
Stiller Protest
An Schweigemärschen gegen die Anschläge der Fundamentalisten beteiligten sich in den nördlichen Unionsstaaten mehrere tausend Menschen aller in Indien vertretenen Weltreligionen - Hindus, Muslime und Christen. In der breiten Bevölkerung dieser rückständigen Landesteile, die als Armenhaus Indiens gelten, bereitet das Miteinander der Religionen keine Probleme. Christen und Hindus leben friedlich zusammen. In den Dörfern ist es beispielsweise üblich, dass Anhänger beider Religionen sich zum gemeinsamen Gebet treffen. Spannungen sind vor allem auf Aktivitäten von auswärts angereister "Scharfmacher" zurückzuführen. Sie sehen ihre Aufgabe darin, den Menschen einzureden, dass Zusammenleben unmöglich und die Schuld für wirtschaftliche Not grundsätzlich bei Andersgläubigen zu suchen sei.
Ein Zentrum des stillen Protests liegt in den abseits gelegenen Gebieten im Nordosten, vor allem in Assam und den benachbarten kleinen Teilstaaten. Nicht ohne Grund ist das Gebiet fundamentalistischen Hindus ein Dorn im Auge. In einigen der kleinen Bundesstaaten des Nordostens bekennen sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung zum christlichen Glauben. Der Großteil gehört protestantischen Kirchen an. Nähe zu den Menschen und ihren Problemen ist das selbst gesteckte Ziel der kleinen katholischen Minderheit. "Hier macht sonst niemand etwas. Vom Staat haben die Menschen nichts zu erwarten", sagt Pater Joseph. Als Pfarrer einer Landgemeinde in der Region Assam kümmert sich der Geistliche auch um die Gläubigen jenseits der Grenze zum Unionsstaat Arunachal Pradesh. Bis vor kurzem war es Kirchenmitarbeitern streng verboten, das Grenzgebiet zu China zu betreten.
Dass sich christliches Leben dennoch entfalten konnte, ist vor allem auf das Engagement glaubwürdiger Persönlichkeiten zurückzuführen - allen voran Mutter Theresa, die mit ihrer Arbeit in den Armenvierteln von Kalkutta überzeugte und der indischen Kirche ein positives Image verlieh. Im abgeschnittenen Nordosten sicherte ein Trick das Überleben. Nicht Kleriker, sondern junge Laien, die ihre Heimat Richtung Süden verlassen hatten, um in freien Landesteilen in kirchlichen Einrichtungen zu studieren, kehrten nach Arunachal Pradesh zurück und brachten durch ihr Engagement christliches Leben in den Dörfern in Gang. "Jetzt, wo wir mehr Bewegungsspielraum haben, ist die Kontaktaufnahme zu den Menschen leichter. Die Kirche ist jung und voller Dynamik", berichtet Pater Joseph und fügt hinzu: "Im sozialen Bereich fangen wir bei null an, Bildung und Gesundheitsversorgung zum Beispiel gab es bislang nicht. Wir wären froh, wenn wir mit anderen Institutionen enger zusammenarbeiten könnten, denn uns fehlt das Geld an allen Ecken und Enden."
In kleinen Teams sind seine Mitarbeiter von Dorf zu Dorf unterwegs, leben für einige Wochen mit den Menschen, bieten Schulunterricht und gesundheitliche Aufklärungsarbeit an und organisieren die Gemeindearbeit. Schritt für Schritt fasst die Kirche in Arunachal Pradesh Fuß. Vergangenes Jahr etwa wurde in Seppa, der Distrikthauptstadt von East Kameng, eine Schule eröffnet. Das soziale Engagement der Kirche hat sich unter den Einheimischen herumgesprochen. Im Gegensatz zu Westeuropa etwa plagen die Kirche hier keine Nachwuchssorgen. "Innerhalb der letzten drei Jahre ist die Zahl der Gläubigen in verschiedenen Dörfern Kamengs von nahezu null auf 7.000 gestiegen", bilanziert Pater Joseph.
Gebet und Mystik
Kritiker werfen der Kirche vor, gerade durch solchen sozialen Aktivismus Gläubige in der Vergangenheit mehr "gekauft" als wirklich überzeugt zu haben - ein Thema, mit dem sich die Bischöfe des Kontinents auch auf der Asiensynode beschäftigt haben. Ziel der Zusammenkunft aller Bischöfe des Kontinents war unter anderem, Wege zu finden, wie dem Bedürfnis der Menschen nach geistlicher Orientierung, Gebet und Mystik - neben materieller Absicherung - künftig besser Rechnung getragen werden kann. "Natürlich gehören Spiritualität und sozial-wirtschaftliche Entwicklung untrennbar zusammen, will man alle Aspekte des Lebens in eine auf den Menschen bezogene Entwicklungsarbeit einbinden. Man kann sich zwar auf den einen Bereich konzentrieren, darf den anderen aber keinesfalls aus den Augen verlieren", betont etwa Antonia Willemsen, Generalsekretärin des internationalen Hilfswerks "Kirche in Not", zu dessen Schwerpunktregionen der Norden Indiens zählt. In den vergangenen zehn Jahren hat das Hilfswerk mehr als 282 Millionen Schilling für pastorale Hilfsprojekte wie beispielsweise den Bau von Gemeindezentren oder die Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter zur Verfügung gestellt.
Die Menschen in Indien bräuchten auch den "weisen Guru". Das Christentum habe geistige Schätze, doch seien diese oft im Museum begraben, konstatierte etwa Valerian D'Souza, Jesuitenbischof im westindischen Poona, nach der Asien-Synode. Nach Einschätzung Willemsens könnte in genau diesem Punkt auch der Schlüssel zur Versöhnung zwischen den Religionen liegen. Man dürfe nicht vergessen, dass vor allem im spirituellen Bereich Annäherung vorangetrieben werden könne. Christen müssten zudem durch engagiertes Vorleben, das echte Toleranz und Nächstenliebe zum Ausdruck bringt, ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Nur auf diese "sanfte" Weise könne Extremisten die "geistige Grundlage" entzogen werden. Der Dialog zwischen Indiens Religionen bleibe auch künftig ein schwieriger Balanceakt.
Johannes Mehlitz (Kathpress) (ende)
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KI/KAP (KathPress/Katolsk Informasjonstjeneste)