Astana, 25.9.01 (KAP) Papst Johannes Paul II. hat seinen viertägigen Besuch in Kasachstan beendet und ist nach Armenien weitergeflogen. Vor seiner Abreise mahnte er noch einmal Christen und Muslime zum Dialog. Bei der Abschiedszeremonie auf dem Flughafen der Hauptstadt Astana rief der Papst die Menschen des zentralasiatischen Vielvölkerstaates zur Gestaltung einer geeinten und solidarischen Zukunft auf. Als Brücke zwischen Europa und Asien habe Kasachstan die Pflicht, Menschen unterschiedlicher Traditionen zusammenzuführen.
Präsident Nursultan Nazarbajew dankte dem Papst für seinen Besuch und die Wertschätzung für Kasachstan. Die Weltöffentlichkeit müsse den Ländern Zentralasiens mehr Aufmerksamkeit schenken, sagte der Politiker. Er sprach sich für die Bildung einer Eurasischen Union aus. Neben wirtschaftlicher Zusammenarbeit komme es auf gegenseitigen Respekt an. Der Präsident stützte den Papst auf dem Weg die Gangway hinauf und verabschiedete sich - abweichend vom Protokoll - an der Flugzeugtür.
Von Astana aus startete Johannes Paul II. an Bord eines Airbus der "Air Kasachstan" zu dem vierstündigen Flug nach Jerewan, wo er gegen 10 Uhr MESZ erwartet wird. Der dreitägige Besuch anlässlich der Feiern zum 1.700-Jahr-Jubiläum der Christianisierung des Landes steht im Zeichen der Ökumene. Johannes Paul II. wird mehrfach mit dem armenischen Katholikos Karekin II. an dessen Amtssitz Etschmiadzin zusammentreffen.
Der Völkermord an den Armeniern wirkt bis heute nach
Johannes Paul II. besucht in Jerewan auch das "Tsitsernakaberd"-Mahnmal, mit dem an die tragischen Geschehnisse der Jahre 1915 bis 1923 erinnert wird - "Kathpress"-Hintergrundbericht von Christoph Arens und Alexander Reiser=
Jerewan, 25.9.01 (KAP) Mit Armenien besucht Johannes Paul II. ein christlich geprägtes Land, das einen großen Teil seiner Geschichte zwischen fremden Mächten aufgeteilt war und sich immer wieder zwischen anderen Religionen und Konfessionen behaupten musste: zwischen Rom und Iran, zwischen Byzanz und Arabern und schließlich zwischen Osmanen, Persern und Russen. Die kulturelle Identität der Armenier beruht auf ihrer Sprache, einem eigenen Alphabet und der Kirche. Für das Bewusstsein der heutigen Armenier ist auch der von der jungtürkischen Regierung des "Komitees für Einheit und Fortschritt" verübte Völkermord prägend, dem ab 1915 bis zu 1,5 Millionen Menschen, rund zwei Drittel der damals im Osmanischen Reich ansässigen armenischen Bevölkerung, zum Opfer fielen. Am Mittwoch wird Johannes Paul II. das "Tsitsernakaberd"-Mahnmal besuchen, mit dem an die tragischen Geschehnisse der Jahre 1915 bis 1922 erinnert wird.
In den kranken Gehirnen der jungtürkischen Ideologen - deren "panturanische" Fantasien getreue Kopien der gleichzeitigen "pangermanistischen" Vorstellungen waren - hatten die Armenier die Rolle inne, die in Mitteleuropa den Juden zugeteilt wurde. Seit dem "Hatt-i-Serif" von Gülhane von 1839 - mit dem die Reformperiode des "Tanzimat" im Osmanischen Reich eingeleitet und die Rechtsgleichheit zwischen Muslimen und Christen hergestellt wurde - hatten Armenier viele Spitzenpositionen eingenommen; auf Regierungsebene ebenso wie in der türkischen Diplomatie und in allen kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen.
Aber das Osmanische Reich war längst zum "kranken Mann am Bosporus" geworden. Sultan Abdulhamid II. (der von 1876 bis 1909 regierte) und seine Hintermänner griffen dann zum alten Politikertrick, die Spannungen einer im dramatischen Umbruch begriffenen Gesellschaft auf eine bestimmte Gruppe "umzuleiten". Die Folge waren die antiarmenischen Pogrome von 1894/96 vor allem in Kilikien, die mindestens 100.000 Opfer forderten. Als 1908 die "jungtürkische" Revolution ausbrach, waren die armenischen Politiker mit dabei; aber schon bald wurde klar, dass die "Panturanisten" des "Komitees für Einheit und Fortschritt" nicht die mindeste Absicht hatten, den osmanischen Reichspatriotismus zu stärken, der für alle Nationalitäten Platz bot, solang sie dem Sultan treu blieben.
Die "Panturanisten" träumten von "Rassenreinheit"; der Erste Weltkrieg bot ihnen - unter willfähriger Zulassung der "Waffengefährten" in Wien und Berlin - die willkommene Gelegenheit, die schon vor 1914 angedachten Pläne zur "ethnischen Säuberung" Anatoliens zu verwirklichen. Am 24. April 1915 begann die systematische Verfolgung: Auf Befehl des Innenministeriums wurden die Angehörigen der politischen und gesellschaftlichen Elite der Armenier zu Tausenden verhaftet und in der Regel ohne Prozess hingerichtet. Deportationen und Konfiskationen folgten.
Der Widerstand einer kleinen Gruppe wurde weltweit bekannt und ging auch in die Literaturgeschichte ein: In seinem Erfolgs-Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" schilderte der Schriftsteller Franz Werfel, wie sich im August und September 1915 mehrere tausend Armenier auf dem Mosesberg (Musa Dagh) in Kilikien verschanzten. Kurz bevor sie erschöpft hätten aufgeben müssen, wurden sie von einem französischen und einem britischen Kriegsschiff gerettet.
Die Gewalttaten hatten ein Nachspiel, das Rechtsgeschichte machte: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs leiteten die westlichen Siegerstaaten erstmals Kriegsgerichtsprozesse ein, um die Verantwortlichen zu bestrafen. Im von den Alliierten besetzten Istanbul konnte ein Kriegsgericht beweisen, dass die Verbrechen zentral vorbereitet wurden, und verurteilte 17 Angeklagte zum Tode, konnte aber nur drei Hinrichtungen vollziehen. Die Haupttäter flohen, wurden aber später zum Teil von armenischen Attentätern ermordet.
Bis heute belasten diese Ereignisse die internationalen Beziehungen in einer Region, die durch ihren Erdölreichtum, den islamischen Fundamentalismus und die Nachwehen des Auseinanderbrechens der Sowjetunion zunehmend in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerät. Zwar gibt es seit diesem Jahr eine türkisch-armenische Versöhnungskommission. Doch immer noch weist die offizielle Türkei den Vorwurf des Völkermordes zurück und argumentiert, es habe sich nicht um systematische Vernichtung, sondern um Opfer von Bürgerkriegswirren und Hungersnot gehandelt. Dennoch erschien 1985 der "Armenian Genocide" erstmals in einem offiziellen Papier der UNO, 1987 sprach auch das Europäische Parlament von "Völkermord". Bei solchen Gelegenheiten übte die Türkei stets massiven diplomatischen Druck aus: Beispielsweise verhinderte sie im Oktober 2000 eine entsprechende Resolution des amerikanischen Repräsentantenhauses. Als Frankreich im Jänner 2001 den Völkermord offiziell anerkannte, ergriff die Regierung in Ankara massive Repressalien und verfügte beispielsweise einen Boykott französischer Firmen.
K200106018 - K200105937
25. september 2001