Mehr als 20 Kirchenoberhäupter aus aller Welt nehmen teil - Einweihung der neuen Kathedrale in Jerewan - Zugleich Feiern zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes
Jerewan, 20.9.01 (KAP) In Armenien haben am Freitag die zentralen Feiern zum 1.700-Jahr-Jubiläum der Ausrufung des Christentums zur offiziellen Religion des Landes begonnen. Mehr als 20 Oberhäupter christlicher Kirchen aus aller Welt sind in die Hauptstadt Jerewan gekommen, unter ihnen der russisch-orthodoxe Patriarch Aleksij II. Sie feierten einen ökumenischen Gottesdienst am Sitz des Oberhauptes der armenisch-apostolischen Kirche, Katholikos-Patriarch Karekin II., in Etschmiadzin nahe Jerewan.
Am Samstag werden die Kirchenrepräsentanten dem Patriarchen an seinem Sitz in Etschmiadzin erneut ihre Aufwartung machen. Danach findet in der Kathedrale von Etschmiadzin die Myron-Weihe (Weihe der heiligen Öle) statt. Zu der Liturgie werden tausende Pilger aus aller Welt erwartet.
Höhepunkt der kirchlichen Feiern wird am Sonntag die Einweihung der neu errichteten St. Gregor-Kathedrale im Zentrum Jerewans sein. Der heilige Gregor der Erleuchter war der große Apostel Armeniens. Die Kathedrale wird 1.700 Sitzplätze fassen und damit das größte armenische Gotteshaus weltweit sein. Sie wird auch die Reliquien des Nationalheiligen Gregor aufnehmen, die Papst Johannes Paul II. vergangenen November an Katholikos Karekin bei dessen Besuch im Vatikan überreicht hatte. Diese Reliquien waren zuvor in Neapel aufbewahrt und verehrt worden. Der Kirchenneubau ist auch ein Symbol für das Wiedererstarken der armenischen Kirche nach der Unabhängigkeit Armeniens vor zehn Jahren.
Gedenken an den Völkermord
Während ihres Aufenthaltes in Jerewan werden die Kirchenoberhäupter auch die Gedenkstätte "Tsitsernakaberd" aufsuchen. Sie erinnert an den Völkermord, den die "jungtürkische" Regierung ab 1915 an 1,5 Millionen Armeniern verübt hatte. Die mit Berlin und Wien verbündete "jungtürkische" Regierung des "Komitees für Einheit und Fortschritt" rottete während des Ersten Weltkriegs systematisch Armenier und später auch syrische Christen aus. Der Genozid zählt zu den grausamsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Die offizielle Türkei bestreitet bis heute, dass es sich um geplanten Völkermord an den Armeniern gehandelt habe und behauptet, die Zahl der Opfer sei "nur" bei 300.000 gelegen.
Aus Anlass des 1.700-Jahr-Jubiläums wird auch Papst Johannes Paul II. Armenien besuchen, vom 25. bis 27. September. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., wird für die Zeit vom 27. Oktober bis 4. November erwartet.
Armenien ist (abgesehen von dem kleinen syrischen Fürstentum Edessa/Urfa) das erste "christliche" Land der Geschichte. König Trdat (Tiridates) III. ließ im Jahre 301 sich und seine Untertanen taufen und machte damit den christlichen Glauben zur offiziellen Landesreligion. Er war dem römischen Kaiser Konstantin dem Großen voraus, der 313 im Edikt von Mailand jedem Bürger des Römischen Reiches das Recht auf freie Religionsausübung gewährte und später das Christentum zur "offiziösen" Religion des Reiches machte (die Proklamation zur Staatsreligion erfolgte erst unter Theodosius dem Großen).
Im Verlauf der Jahrhunderte wurde die Kirche zu einem Eckpfeiler armenischen Bewusstseins. Identitätsstiftend erwies sich die Kirche vor allem deshalb, weil Armenien nacheinander ganz oder teilweise unter byzantinischer, arabischer, persischer, türkischer und schließlich russischer Herrschaft aufgeteilt wurde.
Nach dem Völkermord an den Armeniern von 1915 wanderten zahlreiche Armenier in alle Welt aus. Heute wird die Zahl der armenisch-apostolischen Gläubigen weltweit auf rund sieben Millionen geschätzt. Die Kirche ist vor allem im Nahen Osten, in Frankreich, den USA und in Lateinamerika präsent. Von den 3,3 Millionen Einwohnern der Republik Armenien gehört die überwiegende Mehrheit der armenisch-apostolischen Kirche an; es gibt aber auch kleine katholische ("unierte") und evangelische Gemeinschaften.
Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche ist der in Etschmiadzin residierende Katholikos-Patriarch. Karekin II., 1999 in dieses Amt gewählt, ist der 132. Katholikos-Patriarch. Eine besondere Stellung nehmen auch der - heute im Libanon residierende - Katholikos der alten kilikischen Königsstadt Sis sowie die armenischen Patriarchen von Jerusalem und Konstantinopel ein.
Die armenische Kirche zählt - wie die koptische, die syrische, die südindische und die äthiopische Kirche - zu den altorientalischen Kirchen. Diese sagten sich beim Konzil von Chalcedon (Kadiköy) 451 von der allgemeinen Kirche los. In den drei vergangenen Jahrzehnten ist es in einem intensiven theologischen Dialog zur Klärung vieler Streitfragen zwischen den altorientalischen Kirchen einerseits, der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen andererseits gekommen.
Grußwort des US-Präsidenten
Gleichzeitig mit dem 1.700-Jahr-Jubiläum der Christianisierung wird an diesem Wochenende in Jerewan das Zehn-Jahr-Jubiläum der Wiedererlangung der Unabhängigkeit des Landes gefeiert. Bereits im August 1990 erklärte Armenien seinen Austritt aus der Sowjetunion. Durch ein Referendum am 21. September 1991 wurde diese Erklärung formal bestätigt. Seither wird dieser Tag als Unabhängigkeitstag gefeiert.
Staatschefs aus aller Welt sandten zu beiden Anlässen Grußadressen an Staatspräsident Robert Kotscharjan und Katholikos Karekin, allen voran die Präsidenten George Bush und Jacques Chirac. US-Präsident Bush betonte, die Armenier hätten mit starkem Geist ihre Kultur, ihren Glauben und ihre Unabhängigkeit erhalten. In den USA lebten derzeit mehr als eine Million Armenier. Er hoffe auf eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zur Förderung von "Frieden, Stabilität und Entwicklung". Präsident Kotscharjan versicherte in seiner Antwort an Bush, Armenien sei bereit, alles in seiner Macht Stehende zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus beizutragen.
Putin würdigt armenische Kirche
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte bereits Mitte des Monats Armenien besucht und dabei auch eine Unterredung mit Katholikos Karekin geführt. Er sei überzeugt, dass die armenische Kirche unter der Führung Karekins "auch weiterhin ihren Beitrag zur Stärkung der moralischen Ideale und der reichen Tradition der armenischen Nation leisten wird", sagte Putin. Weiter würdigte er Karekin als "Anwalt der Jahrhunderte alten Freundschaft zwischen Russland und Armenien". Als erster russischer Präsident besuchte Putin auch das Genozid-Museum in Jerewan.
Ungelöster Karabach-Konflikt
Überschattet werden die Feiern zu den beiden Jubiläen vom nach wie vor ungelösten Konflikte mit dem Nachbarland Azerbaidschan um die Region Arzach (Berg-Karabach). Es gehört als autonomes Gebiet zu Azerbaidschan, die die dort lebenden Armenier strebten Ende der achtziger Jahre dessen völlige Unabhängigkeit an. Rund 50.000 Menschen kamen bei den anschließenden Kämpfen ums Leben, rund 350.000 Armenier mussten aus Azerbaidschan fliehen. Nachdem 1994 ein bis heute andauernder Waffenstillstand geschlossen wurde, bemüht sich die Minsk-Gruppe der OSZE um die Beilegung des Konfliktes, der Armenien bis heute wirtschaftlich schwächt.
Jüngster Vorfall in diesem Konflikt ist der Antrag einer azerbaidschanischen Intellektuellen-Vereinigung, dass die armenische Kathedrale im Zentrum von Baku in ein Museum umgewandelt werden soll, in dem "die Gewalttaten und Feindseligkeiten der Armenier gegen die Azeri und die Türken" dokumentiert werden.
Kathpress
20. september 2001