Nach Kiew stehen weitere Reisen in Moskaus Einflusszone bevor
"Kathpress"-Analyse von Ludwig Ring-Eifel
Kiew, 28.6.01 (KAP) Papst Johannes Paul II. hat konsequent seine erste Reise in den Kernbereich der einstigen Sowjetunion absolviert - dieser Reise waren Pastoralvisite in den baltischen Republiken und in Georgien vorausgegangen. Fast genau zehn Jahre nach dem Untergang der UdSSR hat er die ukrainische Hauptstadt Kiew und das westukrainische Lwiw (Lemberg) besucht. Er hat dort seine Botschaft von Freiheit, Demokratie und Solidarität und von der unersetzlichen Rolle der Religion und der Moral in der Gesellschaft gepredigt, mit der er vor einem knappen Vierteljahrhundert die "Wende" in Polen und vielen Staaten Mitteleuropas eingeleitet hatte.
Millionen von Ukrainern erlebten den Gast aus Rom als einen, der ihre Nation liebt und respektiert und der dem Alter und allen politischen Widerständen zum Trotz unermüdlich für Frieden und Dialog wirbt. Die befürchteten Proteste blieben aus, und am Ende hat er mehr Sympathien gewonnen als mancher Beobachter erwartet hatte - nicht zuletzt deshalb, weil diskret, aber verständlich verbreitet wurde, dass der Papst selbst ukrainischer Herkunft ist.
Zwar hatte der Papst, vor allem an den ersten Tagen der Reise, mit einer Reserviertheit der meist nichtkatholischen Bevölkerung in Kiew zu kämpfen. Auch das Fernbleiben des orthodoxen Metropoliten Wolodymyr von Kiew bei einem ökumenischen Treffen mit dem Papst sowie vereinzelte antikatholische Mahnwachen vor orthodoxen Kirchen trübten das Klima des Besuches ein.
Der von manchem erhoffte ökumenische Durchbruch kam nicht zu Stande, auch wenn die Bilanz positiver ausfällt als allgemein erwartet. Der Papst ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Auf das ausgebliebene Treffen mit Metropolit Wolodymyr reagierte er mit freundlichen Worten an die Adresse der Orthodoxie und einem noch intensiveren Aufruf zum ökumenischen Dialog unter den Kirchen und entschärfte damit eine aufkeimende Eklat-Stimmung.
Die Herzen der Kiewer eroberte er nach und nach, als er in Gedenkfeiern an den Denkmälern für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges, für die Opfer des Stalinismus und für die Opfer des deutschen Besatzung Station machte und der Millionen von Ukrainern gedachte, die im 20. Jahrhundert verhungerten oder ermordet wurden. Nach zwei Tagen Besuch waren die Menschenmengen an den Straßen jedenfalls deutlich größer als bei seiner Ankunft, und die täglich neuen Fernsehumfragen ergaben eine mehrheitlich positive Bewertung des Besuchs in der Bevölkerung.
Zum Triumph wurde schließlich sein zweitägiger Aufenthalt in der katholischen Hochburg Lemberg nahe der polnischen Grenze. Hunderttausende romtreue Ukrainer und angereiste Polen feierten den Papst gemeinsam und bejubelten seinen Aufruf zur Gemeinsamkeit zwischen den beiden durch historische, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede getrennten Völkern.
Mit der Seligsprechung von 28 ukrainischen Märtyrern und Bekennern rief er den Ukrainern einmal mehr in Erinnerung, welchem jahrzehntelangem Albtraum sie entkommen sind, als sie vor einem Jahrzehnt die kommunistische Herrschaft abschüttelten. Die Fernsehbilder vom massenhaften Jubel der Westukrainer, die in der gesamten Ukraine als Bannerträger der nationalen Unabhängigkeit gelten, dürften landesweit Eindruck gemacht haben.
Noch während des Besuches in Lemberg wuchs die Neugier, was die nächsten Schritte des Papstes bei seiner 1999 mit der Rumänienreise eingeleiteten zweiten Ost-Offensive sein würden. Außer den Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Kasachstan, die im September auf seinem Reiseprogramm stehen, wurde im Papstgefolge über Reisen nach Weißrussland und Bulgarien für das kommende Jahr gesprochen. Dann gibt es eine Einladung nach Moskau durch den katholischen Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz, der beim Papstbesuch in der Ukraine dabei war.
Auch wenn der Papst nicht in absehbarer Zeit nach Russland reist, bleibt ihm der Konflikt mit Moskau erhalten. Weißrussland gehörte wie die Ukraine zum Kernbestand der Sowjetunion und gilt bis heute aus russischer Sicht zum politischen und religiösen Machtbereich Moskaus. Doch nach dem Erfolg in Kiew sind sich Beobachter sicher, dass dies für den Papst aus Polen kein Hindernis mehr sein wird. Er hält, wie er an seinem letzten Tag in der Ukraine noch einmal ausdrücklich betonte, an seiner 1989 formulierten Vision eines geeinten Europas der christlichen Werte fest, das "vom Atlantik bis zum Ural" reicht.
Kathpress
28. juni 2001