In Lemberg erlebt Johannes Paul II. ein "Heimspiel"
"Kathpress"-Korrespondentenbericht aus Lemberg von Ludwig Ring-Eifel
Lemberg, 26.6.01 (KAP) Mit der Gegend von Lemberg im Westen der Ukraine verbindet Papst Johannes Paul II. viel. Seine früh verstorbene Mutter stammte aus dieser Region, die viele Jahrhunderte zu Polen gehörte. Einen Teil seines Militärdienstes vor dem Überfall der Deutschen auf Polen hat er hier absolviert, und Erzbischof Eugeniusz Bazniak, der den Priester Karol Wojtyla 1958 in Krakau zum damals jüngsten Bischof Polens weihte, war ein von den Sowjets aus dieser Gegend vertriebener Kleriker.
Unter diesen Umständen wunderte es niemanden, dass der Papst aus Polen am vierten Tag seiner Ukrainereise bei seinem ersten Gottesdienst in der westukrainischen Katholikenhochburg Lemberg eine Predigt nicht in der Landessprache, sondern - bis auf einen Absatz - in seiner polnischen Muttersprache hielt.
Seine Zuhörer, die zu Hunderttausenden auf das Gelände einer stillgelegten Pferderennbahn außerhalb von Lemberg gekommen waren, verstanden ihn ohnehin: Wohl die Hälfte von ihnen waren aus Polen angereist. Hunderte von modernen, den neuen Wohlstand des inzwischen relativ wohlhabenden Nachbarvolkes demonstrierenden Reisebusse und zahllose weißrote polnische Fahnen verrieten dies.
Doch auch die andere Hälfte der gewaltigen Menge, die den Worten des Papstes lauschte, verstand ihn. Denn die meisten Katholiken des lateinischen Ritus in der Westukraine, die erst 1946 unter Moskauer Herrschaft kam, stammen aus polnischen Familien. Und auch diejenigen, die weder polnisch noch polnischstämmig waren, verstanden die Predigt, denn das Ukrainische ist, vor allem im Westen des Landes, dem Polnischen sprachlich so nahe, dass es keines Übersetzers bedarf.
Beim Bad in der Menge, das der im Papamobil fahrende Papst zu Beginn der Messe ausführlich genoss, wechselten die Gesänge und Sprechchöre fließend vom Ukrainischen ins Polnische, und die weißroten Fahnen wehten friedlich neben den blaugelben der Ukraine. Doch es war der Papst selbst, der daran erinnerte, dass es nicht immer so freundlich zuging zwischen Polen und Ukrainern. Er rief die Menschen dazu auf, anzuerkennen, dass "nicht wenige Christen polnischer wie ukrainischer Abstammung in dieser Gegend" einander Dinge angetan hätten, die nicht dem Geist des Evangeliums entsprachen.
"Es ist an der Zeit, von dieser schmerzlichen Vergangenheit Abstand zu nehmen!" rief der Papst und appellierte an die Christen beider Nationen, gemeinsam ihren Weg durch die Geschichte fortzusetzen. An der Nahtstelle zwischen dem erweiterten Wirtschaftsraum der wohlhabenden EU und der noch immer wirtschaftlich am Boden liegenden GUS rief er Polen und Ukrainer auf, gemeinsam "eine Zukunft des gegenseitigen Respekts, der brüderlichen Zusammenarbeit und der echten Solidarität aufzubauen".
"Geistliche" Wurzeln des Papstes in der Ukraine
Um den kulturellen und wirtschaftlichen Graben, der Ukrainer und Polen noch immer trennt, symbolisch zu überbrücken, erinnerte der Papst nicht an seine blutsmäßige Abstammung aus der Westukraine, sondern an seine geistliche. Er knüpfte an die Person des an diesem Tag zu Beginn des Gottesdienstes selig gesprochenen Jozef Bilczewski (1880-1923) an, der einst lateinischer Bischof im polnischen Lwow war.
Wojtyla stellte fest, dass er selbst gewissermaßen der geistliche Enkel des neuen Seligen sei, denn Bilczewski war es, der den späteren Administrator von Krakau, Eugeniusz Baziak, zum Bischof weihte, der wiederum Jahrzehnte später Wojtyla die Hände auflegte. Und um auch die fünf Millionen Katholiken des byzantinischen Ritus einzubeziehen, erinnerte er in ukrainischer Sprache daran, dass der ukrainische Nationalheld, der Lemberger unierte Erzbischof Andrey Scheptyckij - er war von 1901 bis 1944 im Amt - dabei war, als seinerseits Bilczewski zum Bischof geweiht wurde. Zur großen Freude der Zuhörer kündigte der Papst dann auch noch an, dass Scheptyckij - "wenn Gott will" - demnächst selig gesprochen werde.
Neben den geistlichen Brückenschlägen des Papstes bejubelten die Menschen in Lemberg vor allem seine Person, mit der viele Ukrainer bis heute den Helden der Befreiung von der Sowjetherrschaft für Polen und alle anderen Länder Osteuropas sehen. Mit dem Jubel für ihn verbindet sich für sie auch die Hoffnung, eines nicht zu fernen Tages einmal ebenso unabhängig von Moskau und nah an Europa zu sein wie die Polen.
Kathpress
26. juni 2001