Kiew, 23.6.01 (KAP) Papst Johannes Paul II. hat zum Auftakt seiner Reise in die Ukraine die Orthodoxie um Vergebung für Fehler und Irrtümer der Vergangenheit und der Gegenwart gebeten. "Mögen sich die Irrtümer der Vergangenheit in der Zukunft nicht wiederholen", sagte er bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Kiew. Zugleich bot er den Orthodoxen die Bereitschaft der katholischen Kirche zur Vergebung für erlittenes Unrecht an. Die Erinnerung der Vergangenheit dürfe nicht den Weg zu gegenseitigem Verständnis, zu Brüderlichkeit und Zusammenarbeit bremsen.
Er komme als Pilger des Friedens und der Brüderlichkeit, unterstrich der Papst in seiner Begrüßungsrede. Einen besonderen Gruß richtete er an die orthodoxen Bischöfe, Mönche, Priester und Laien, die in der Ukraine die Mehrheit bildeten. Es gehe ihm keineswegs um Proselytismus, um das Abwerben von Gläubigen anderer Kirchen. Vielmehr sei er gekommen, um den Glauben zu bezeugen und die Glaubenstreue und den Mut zu würdigen, den die Ukrainer auch in der Verfolgung und unter vielen Leiden bewahrt hätten. Ausdrücklich verwies Johannes Paul II. auch auf den friedlichen und unblutigen Übergang des Landes zur Unabhängigkeit.
Nach zweieinhalbstündigem Flug wurde der Papst am Samstag mittag auf dem Flughafen von Kiew von Präsident Leonid Kutschma und den katholischen Bischöfen des Landes begrüßt. Johannes Paul II., der gebückt die Gangway herunterging, küsste eine Schale mit Erde des Landes, die ihm von einigen Jugendlichen gereicht wurde. Mehrere hundert Kinder in bunter Landestracht hießen ihn mit Sprechchören willkommen. "Die Ukraine liebt Dich", riefen sie.
Das ukrainische Volk habe in der Vergangenheit harte Prüfungen durchgemacht, hob der Papst in seiner Rede hervor. Er erinnerte an die beiden Weltkriege, an die wiederholten Dürreperioden und Naturkatastrophen, die Millionen Menschenleben gefordert hätten. Er beklagte die Unterdrückung durch die totalitären Regime von Kommunisten und Nationalsozialisten, während derer das Volk seine nationale, kulturelle und religiöse Identität zu verlieren drohte. Zugleich erinnerte der Papst an den Reaktor-Unfall von Tschernobyl mit seinen "dramatischen Konsequenzen für das Leben vieler Menschen und für die Umwelt". Aber gerade danach habe das Land einen entschiedenen Neuanfang unternommen. Jenes "apokalyptische Ereignis" habe das Land veranlasst, auf Nuklearwaffen zu verzichten und mutig eine Erneuerung zu wagen.
Orthodoxe Bischöfe gegen Provokationen
Trotz massiver Vorbehalte gegen den Papstbesuch in der Ukraine hat die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats an ihre Gläubigen appelliert, auf Demonstrationen und Provokationen während der Reise zu verzichten. Wer gegen die am Samstag beginnende Visite protestiere, tue das nicht im Namen der Kirche, erklärte der Kiewer Vikarbischof Mitrofan Jurtschuk am Freitag in der ukrainischen Hauptstadt. Es werde allerdings immer schwieriger, die Leute zu beruhigen, räumte der Bischof ein. Am Donnerstag hatten rund 10.000 Menschen in Kiew gegen das Kommen des Papstes demonstriert.
Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, der Moskauer Patriarch Aleksij II., hatte am Freitag noch einmal scharfe Kritik am Papstbesuch geäußert. Mit der Visite unterstütze Johannes Paul II. den "barbarischen Nationalismus" der ukrainischen Katholiken, sagte er dem staatlichen russischen Fernsehsender RTR. Da die Orthodoxie der Ukraine innerhalb der Weltorthodoxie der Jurisdiktion Moskaus zugeordnet sei und die Orthodoxie die Mehrheit unter den Christen des Landes stelle, hätte es seiner Zustimmung zu dem päpstlichen Besuch bedurft, betonte Aleksij II.
Völlig anders äußerte sich der Kiewer "Patriarch" Filaret, dessen orthodoxe Kirche sich von Moskau abgespalten hatte. Er heiße den Papst "willkommen", weil er sich um die Einigung der seit 1054 getrennten Ost- und Westkirche bemühe. Der Papst sei ein "weise Person von Autorität", und daher könne man hoffen, dass sein Besuch die Beziehungen zwischen den Kirchen fördern werde, sagte Filaret russischen Medien. Seine Kirche habe die Streitigkeiten mit der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche beigelegt.
Dem Moskauer Patriarchat warf Filaret eine "imperialistische Einstellung" vor. Russland und die dortige Orthodoxie hätten kein Recht, sich in den Papstbesuch in der Ukraine einzumischen.
Filaret hatte vor zehn Jahren ein von der Weltorthodoxie bis heute nicht anerkanntes "Kiewer Patriarchat" gegründet; wegen dieses Schrittes wurde er von der russischen Kirche exkommuniziert.
Unterdessen betonte die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" in ihrer Samstagsausgabe, der Papst unternehme in der Ukraine keine politische Reise und wolle sich auch nicht innere Angelegenheiten der orthodoxen Mehrheitskirche einmischen. Vielmehr wolle er die Glaubenstreue der Christen in der Verfolgungszeit würdigen und auf ihren Beitrag zum Aufbau eines demokratischen Landes und Europas verweisen, so die Vatikanzeitung.
"Gläubige Familien waren Helden"
Der römisch-katholische Bischof von Lutsk, Markijan Trofimiak, sagte der Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano", der Papst wolle mit seinem Besuch auch das Zeugnis der vielen einfachen Gläubigen während der Zeit der Verfolgung würdigen. Die Priester und Bischöfe, die während der Diktatur Repressionen ausgesetzt waren, hätten "ihre pastorale Pflicht" getan. "Wir wollen nicht als Helden betrachtet werden, sondern als Christen. Vielleicht waren die Helden die einfachen Leute, die Familien. Sie waren nicht theologisch gebildet, aber sie hatten einen tiefen und starken Sinn für den Glauben", sagte der Bischof.
Der Apostolische Nuntius in Kiew, Erzbischof Nikola Eterovic, erklärte gegenüber "Radio Vatikan", die Spaltungen in der orthodoxen Kirche der Ukraine seien ein großes Hindernis auch für den ökumenischen Dialog der katholischen Kirche. Es sei notwendig, dass die Orthodoxie des Landes wieder zur Einheit finde. Dies sei aber allein Sache der Orthodoxie; die Katholiken dürften sich dabei nicht einmischen.
Am Montag wird der Papst von Kiew nach Lemberg (Lwiw) im Westen des Landes weiterreisen. Die ehemalige Metropole des habsburgischen Galiziens ist eine Hochburg der mit Rom unierten ukrainisch-katholischen Kirche.
Kutschma: Wurzeln der Ukraine christlich
Der ukrainische Staatspräsident Kutschma nahm in seiner Begrüßungsrede an den Papst Bezug auf die Rolle der Ukraine für Europa. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass die Herausbildung des Fürstentums von Kiew vor mehr als 1.000 Jahren eng mit dem damaligen Kommen des christlichen Glauben verbunden war. Der Papstbesuch sei ein "Meilenstein" für die Geschichte seines Landes. Er begrüße den Papst einerseits als Kirchenoberhaupt - so Kutschma -, aber zugleich als "prominente Figur der Gegenwart, als Person, die im Mittelpunkt großer Ereignisse stand, die den Charakter der Welt veränderten". Johannes Paul II. sei "Vorkämpfer und Champion für Menschenrechte und Menschenwürde sowie kompromissloser Feind von Totalitarismus, Intoleranz, Diskriminierung und Bruderkriegen". Der Papstbesuch sei auch für sein Land ein Aufruf, "gemeinsam den Dialog der Kulturen und Zivilisationen zu entwickeln und die Kommunikation zwischen den Völkern zu vertiefen".
Allerdings stehe die Ukraine erst am Anfang eines langen und komplizierten Weges, so der Präsident. Der Aufbau demokratischer Institutionen und die Zusicherung von Freiheitsrechten sei nicht genug; vor allem müsse man diese Werte im öffentlichen Bewusstsein verankern, damit Toleranz und Respekt gegenüber anderen Anschauungen zu inneren Werten aller Bürger würden.
Vom Flughafen aus trat Papst die 36 Kilometer lange Fahrt ins Zentrum von Kiew an. Vor der griechisch-katholischen St.-Nikolaus-Kirche sprach er ein kurzes Gebet. Anschließend zog er sich zum Mittagessen und zu einer kurzen Ruhepause in die Nuntiatur zurück.
Für den Nachmittag stand ein Höflichkeitsbesuch bei Präsident Kutschma und anschließend eine Begegnung mit Vertreter aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Industrie auf dem Programm.
"Moskau droht Zug der Geschichte zu verpassen"
Während des Fluges von Rom nach Kiew äußerte sich Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls zur ablehnenden Haltung des Moskauer Patriarchats zu Papstreise. Mit dieser Haltung laufe die russische Orthodoxie Gefahr, "den Zug der Geschichte zu verpassen". Navarro bestätigte, dass eine Papstbesuch in Moskau "technisch" auch ohne eine formellen Einladung des dortigen orthodoxen Patriarchats möglich wäre.
Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper vom vatikanischen Einheitsrat, der zum Gefolge des Papstes bei seiner 94. Auslandsreise gehört, vertrat gegenüber Journalisten, dass der Papst nicht ohne eine Einladung der Orthodoxen Moskau besuchen könnte. Das hänge damit zusammen, dass die katholische Kirche in Russland weniger groß und bedeutend sei als in der Ukraine. Zwar herrschten in der Ukraine noch Spannungen zwischen Orthodoxen und Unierten. Es gebe jedoch keine Gewalt mehr.
Ausdrücklich wandte sich Kasper gegen die orthodoxen Vorwürfe des "Uniatismus" und der Proselyten-Macherei. Der "Uniatismus" sei auch für die katholische Kirche kein Modell mehr für die Zukunft. Und der Proselytismus sei nach katholischem Verständnis verboten. Offenbar bestehe aber zwischen Katholiken und Orthodoxe eine unterschiedliche Definition von Proselytismus.
Der Papst hätte bei seinem Besuch in Kiew gerne den dortigen mit dem Moskauer Patriarchat verbundenen orthodoxen Metropoliten Wolodymyr getroffen, so Kasper. Er hob hervor, dass der Papst ausschließlich ihn und keinen anderen orthodoxen Vertreter - also auch keinen Repräsentanten der konkurrierenden orthodoxen Strömungen - schriftlich zu einer Begegnung eingeladen habe.
Kathpress, 23. jun 2001
23. juni 2001