Die konfessionelle Landschaft der Ukraine hat sich seit der "Wende" stark verändert
"Kathpress"-Hintergrundbericht von Josef Pumberger und Ludwig Ring-Eifel
Kiew, 22.6.01 (KAP) Die Ukraine-Reise Papst Johannes Pauls II. ist in erster Linie ein Pastoralbesuch bei den dortigen Katholiken beider Riten. Angesichts des Konflikts mit der russisch-orthodoxen Kirche und der starken Zersplitterung der konfessionellen Landschaft wird die Visite mit Sicherheit nicht ohne Folgen für das gegenseitige Verhältnis der christlichen Kirchen im Land bleiben.
Seit 1989 hat sich die Zahl und das Panorama der Kirchen in der Ukraine stark verändert. Gemessen wird die Größe der einzelnen Kirchen nach der Zahl ihrer bei den staatlichen Behörden registrierten Gemeinden; genaue Angaben über die Zahl ihrer Gläubigen kann keine Kirche machen. Unklar ist auch, wie viele der 50 Millionen Einwohner des Landes tatsächlich als religiös eingestuft werden können, nach Jahrzehnten atheistischer Indoktrination. In Umfragen bezeichnet sich fast die Hälfte als konfessionslos; die Aussagekraft dieser Angaben wird allerdings auch in Zweifel gezogen, da sich viele in der unübersichtlich gewordenen religiösen Landschaft nicht mehr zurechtfinden.
Laut jüngsten Angaben ist die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats nach wie vor die größte Religionsgemeinschaft. Sie stellt mit mehr als 9.000 Gemeinden knapp die Hälfte der rund 20.000 registrierten Gemeinschaften. Sie verfügt über rund 7.500 Priester und über mehr als 7.700 Gotteshäuser; mehr als 800 weitere sind in Bau. In rund 120 Klöstern leben 3.500 Mönche und Nonnen.
Die schismatische orthodoxe Kirche des "Kiewer Patriarchats" hat knapp 2.800 Gemeinden registriert; sie verfügt über rund 1.800 Kirchen, 200 weitere werden gebaut. Für die Seelsorge stehen ihr knapp 2.200 Priester zur Verfügung. Die Zahl der Mönche ist mit etwas über hundert bescheiden. An dritter Stelle stehen die "Autokephalen" mit knapp 1.000 Pfarren, rund 630 Priestern, 700 Gotteshäusern und 100 im Bau befindlichen Kirchen.
Neben diesen drei großen Strömungen innerhalb der ukrainischen Orthodoxie sind noch mehrere kleinere orthodoxe Gemeinschaften zu finden; die "Altgläubigen" sind mit 55 Gemeinschaften die relativ größte unter ihnen.
Die zweitgrößte christliche Gemeinschaft in der Ukraine ist die katholische Kirche des byzantinischen Ritus. Sie gibt die Zahl ihrer Gemeinden mit mehr als 3.300 an, die Zahl der Gläubigen mit 4,5 Millionen. An die 2.800 Gotteshäuser stehen ihr zur Verfügung, über 300 werden gerade errichtet. Etwa 1.900 Priester und 1.200 Ordensleute in 79 Klöstern bilden den Klerus der "unierten" Kirche.
Die Katholiken des lateinischen Ritus sind vorwiegend Angehörige der polnischen Minderheit des Landes. In den etwas mehr als 800 registrierten Pfarren tun 430 Priester ihren Dienst an etwa 880.000 Gläubigen. Den mehr als 700 Kirchen sollen noch weitere 70 hinzugefügt werden. Des weiteren zählt die römisch-katholische Kirche etwas mehr als 300 Ordensleute in 50 Klöstern.
Von - auch politischer - Bedeutung ist die regionale Aufteilung. So hat die Moskau treue Orthodoxie den größten Teil ihrer Gemeinden im Zentrum und im Südosten der Ukraine. Das "Kiewer Patriarchat" ist vor allem im Zentrum konzentriert. Die "autokephale" Kirche dagegen hat 80 Prozent ihrer Gemeinden im Westteil des Landes, dort, wo auch die griechisch-katholische Kirche ihr Zentrum und den größten Teil ihrer Gemeinden hat. Die römisch-katholischen Gläubigen sind vor allem im West- und Zentralteil des Landes zu finden.
Diese konfessionelle Landkarte spiegelt auch politische und ethnische Landschaften wider. Generell gesagt ist die nationale Unabhängigkeitsbewegung im Westen des Landes am stärksten und nimmt gegen Osten hin immer mehr ab; vor allem im Südosten hat auch kirchlich Moskau mehr zu sagen als Kiew.
Im Vorfeld des Papstbesuches nahmen die Warnungen aus Russland zu, die sechs westlichen Provinzen der Ukraine mit Lemberg als Zentrum, die religiös nach Rom orientiert sind, könnten ihre staatliche Unabhängigkeit erklären. Das staatliche russische Radio gab eine Analyse zum besten, in der die Möglichkeit eines Auseinanderbrechens der Ukraine in drei Teile skizziert wurde: im Osten das russisch-sprachige Gebiet, in der Mitte eine moskaufreundliche Region mit den Zentren Kiew und Odessa und das "nationalistische", westorientierte Galizien und Transkarpatien.
So wenig realistisch ein solches Szenario derzeit erscheint, es hat einen für Moskau durchaus schmerzlichen Hintergrund: Die Ukraine, und speziell die Westukraine, war innerhalb der russischen Orthodoxie eines der tragenden Gebiete, reich an Gemeinden, an Priesternachwuchs, an Frömmigkeit des Volkes. Dass in einer Stadt wie Lemberg heute gerade noch eine Pfarre zur Jurisdiktion Moskaus gehört, ist für die russische Kirchenführung schwer zu verkraften. Und es schmerzt doppelt, dass daran nicht nur die "Unierten", sondern auch die "Abgefallenen" aus den eigenen Reihen schuld sind.
Die beiden schismatischen Flügel der ukrainischen orthodoxen Kirche sind für den Papst bei seiner Visite eine Fußangel. Trifft er einen Repräsentanten einer dieser Gruppen - "Kiewer Patriarchat" oder "Autokephale" - würde er nach Ansicht des Moskauer Patriarchats Schismatiker als ökumenische Gesprächspartner legitimieren. Daher warnte das Oberhaupt der Moskau treuen ukrainischen Kirche, Metropolit Wolodymyr, auf Geheiß der russischen Kirchenführung den Papst in einem Brief ausdrücklich vor einem solchen Schritt. Er hätte "höchst negative Auswirkungen" auf die beiderseitigen Beziehungen.
Was alle Konfessionen in der Ukraine eint, ist Leid und Verfolgung durch die massiven Repressionen unter der Sowjet-Herrschaft. Bei der Seligsprechung der griechisch-katholischen und römisch-katholischen Märtyrer des Stalinismus und Kommunismus wird er sicher allen Ukrainern ins Gewissen reden, das große Vermächtnis der Glaubenszeugen aus allen Kirchen nicht durch kleinlichen Hader zu verdunkeln.
Die 26 Märtyrer des Stalinismus stehen stellvertretend für Millionen von Menschen, die in der Ukraine in den sechs Jahrzehnten zwischen der Machtübernahme der Bolschewiken und dem Ende der Ära Breschnew Opfer des Kommunismus wurden. Die meisten - rund acht Millionen - verhungerten Anfang der dreißiger Jahre nach der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Millionen von Ukrainern, darunter viele Juden, wurden auch Opfer des Krieges. Und Zehntausende fielen der politischen und religiösen Verfolgung des Stalinismus und Spät-Stalinismus zum Opfer.
Die Berichte über das Leiden und Sterben der Märtyrer werden vielen Ukrainern noch einmal die Abgründe jener Jahre in Erinnerung rufen, die manche nur noch aus Erzählungen der Alten kennen. Da wurden Menschen wegen ihres Glaubens gefoltert und erschossen, in kochendes Wasser geworfen, gekreuzigt oder lebendig verbrannt. Die letzten starben noch in den siebziger Jahren an den Folgen von Folter und Lagerhaft.
Kathpress
22. juni 2001