Seine 94. Auslandsreise führt Johannes Paul II. in die Ukraine - Widerstand der Moskau verbundenen orthodoxen Kirche macht die Visite zu einem ökumenischen Drahtseilakt - Mit Seligsprechungen erweist der Papst den Opfern stalinistischer Kirchenverfolgung die Ehre
Kiew-Vatikanstadt, 21.6.01 (KAP) Papst Johannes Paul bricht am Samstag zu seiner fünftägigen Reise in die Ukraine auf. Bei seiner 94. Auslandsreise vom 23. bis 27. Juni besucht der Papst die ukrainische Hauptstadt Kiew und die westukrainische Metropole Lemberg (ukrainisch Lwiw/polnisch Lwow). Höhepunkte der Reise werden die zwei Gottesdienste in lateinischem und byzantinischem Ritus in Lemberg sein, bei denen Johannes Paul II. Opfer der Kirchenverfolgung durch das Sowjet-Regime und durch die Nationalsozialisten selig sprechen wird.
Mit großer Aufmerksamkeit wird die Begegnung am Sonntagnachmittag mit Repräsentanten des Allukrainischen Rates der Kirchen und Religionsgemeinschaften verfolgt werden. Der Kiewer Metropolit Wolodymyr, Oberhaupt der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchat, hat angekündigt, diesem Treffen fernbleiben zu wollen. Das Moskauer Patriarchat hat sich mehrfach gegen den Besuch des Papstes ausgesprochen. Entgegen seiner bisherigen Linie hat Johannes Paul II. - der selbst zum Teil ukrainischer Herkunft ist - an einem Besuch in der Ukraine trotz des Widerstands der orthodoxe Mehrheitskirche festgehalten.
Nach dem vom Vatikan veröffentlichten Programm wird der Papst am Samstag um 11.30 Uhr (12.30 Uhr Ortszeit) auf dem Boryspil-Flughafen in Kiew eintreffen und vom ukrainischen Staatspräsidenten Leonid Kutschma und einer Abordnung der katholischen Bischöfe empfangen werden. Für 17 Uhr ist ein Höflichkeitsbesuch beim Präsidenten in dessen Amtssitz vorgesehen, anschließend eine Begegnung mit Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft.
Am Sonntag feiert Johannes Paul II. um 8.30 Uhr auf dem Gelände eines Kiewer Flughafens einen Gottesdienst im lateinischen Ritus. Um 12 Uhr wird er die katholischen Bischöfe beider Riten in der Nuntiatur zu einer Unterredung treffen. Die Begegnung mit Vertretern der anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften ist für 15.15 Uhr in der Nationalphilharmonie in Kiew geplant.
Am Montag wird der Papst um 9 Uhr auf dem selben Gelände wie am Vortag einen Gottesdienst im byzantinischen Ritus feiern. Zu den beiden Gottesdienst werden eine halbe bis eine Million Menschen aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion erwartet. Am Abend wird der Papst nach Lemberg weiterreisen. Die Großerzdiözese Lemberg ist die Hochburg der rund fünf Millionen Gläubige zählenden ukrainisch-katholischen ("unierten") Kirche.
Die lateinische Messe mit dem Papst in Lemberg wird am Dienstag um 8.30 Uhr auf dem Gelände einer Pferderennbahn zelebriert. Dabei wird der Papst den römisch-katholischen Priester Zygmunt Horasdowski (1845-1920) selig sprechen. Er gründete in Lemberg mehrere Häuser und Hilfsstellen für Arme, Obdachlose, allein stehende Mütter in Not und Waisenkinder. Zudem rief er eine Schwesterngemeinschaft ins Leben, die seine Sozialinitiativen unterstützte und fortführte.
Am Dienstagnachmittag wird der Papst das im Bau befindliche Gebäude für eine katholische Universität segnen, ebenso den Grundstein für ein neues Priesterseminar samt theologischer Ausbildungsstätte. Um 17.30 Uhr steht eine Begegnung des Papstes mit der Jugend auf dem Programm. Zu der Veranstaltung auf einem großen Platz im Lemberger Stadtteil Schykow werden mehrere Hunderttausend Jugendliche erwartet.
Auch ein NS-Opfer wird selig gesprochen
Bei seinem vierten und letzten großen Gottesdienst, der wieder in byzantinischem Ritus gefeiert wird, wird Johannes Paul II. am Mittwochvormittag 28 Märtyrer aus der griechisch-katholischen Kirche selig sprechen. Zu den beiden Papstmessen in Lemberg werden bis zu zwei Millionen Menschen erwartet, unter ihnen mehrere Hunderttausend Gläubige aus der polnischen Heimat Johannes Pauls II.
Die Lebensläufe der meisten neuen Seligen - fast alle sind Märtyrer der stalinistischen Christenverfolgung - lesen sich wie ein Horror-Kompendium aus dem Reich des Bösen: Deportationen, Lagerhaft, KGB-Verhöre. Die grausamsten Todesarten sind dabei, ein Priester wurde gekreuzigt, ein anderer soll sogar lebendig eingemauert worden sein. Sieben Märtyrer-Bischöfe, zwölf Priester und drei von den Sowjets ermordete Ordensfrauen sind unter den neuen Seligen. Der letzte der Märtyrer starb noch unter Breschnew im Dezember 1973 nach mehreren Lageraufenthalten und wiederholten KGB-Verhören.
Unter den Märtyrern und künftigen Seligen ist der Priester Omeljan Kowtsch. 1943 wurde er von den Nationalsozialisten im KZ Majdanek ermordet. Grund dafür war sein Einsatz für verfolgte Juden. Insgesamt neun der neuen Seligen sind Bischöfe, unter ihnen Teodor Romza. 1947 kam er unter "ungeklärten Umständen" bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Danach wurden die "unierten" Katholiken der (von 1918 bis 1939 tschechoslowakischen) Karpato-Ukraine vom stalinistischen Regime gewaltsam in das orthodoxe Moskauer Patriarchat "eingegliedert".
Die zwangsweise Eingliederung der "unierten" Kirche in die russisch-orthodoxe Kirche war im bis 1939 polnischen Gebiet der Westukraine bereits 1946 durchgeführt worden. Unter den Hunderten Opfern der ukrainisch-katholischen Kirche waren acht Bischöfe, deren Martyrium Rom jetzt offiziell bestätigt hat. Einer von ihnen war Mykola Tscharnetskyj, der nach seiner Verhaftung 1945 furchtbare Folterungen in den NKWD-Kellern erlitt und nach Sibirien deportiert wurde, aber überlebte. Tscharnetskyj starb 1959 in Lemberg.
Am Mittwoch um 17.15 Uhr wird der Papst am Lemberger Flughafen verabschiedet werden.
Johannes Paul II. wird auf seiner Reise auf ein religiös stark gespaltenes Land treffen. Neben dem Konflikt zwischen Orthodoxen und Katholiken um Pfarren und Gotteshäuser in der Westukraine ist auch die Orthodoxie selbst in mindestens drei Gruppierungen gespalten. Neben der dem Moskauer Patriarchat verbundenden Mehrheitskirche gibt es das so genannte "Kiewer Patriarchat", das sich Anfang der neunziger Jahre abgespalten hat, und die "autokephale" Kirche, die im Exil überlebt hat und nun auch in ihrem Stammland wieder Fuß fasst.
Weitere Demonstrationen gegen Papstvisite
In Kiew kam es erneut zu Demonstrationen gegen den bevorstehenden Papstbesuch. Die rund 2.500 Demonstranten trugen laut Rundfunkberichten vom Donnerstag auf ihrem Marsch vom Parlament zum Außenministerium Plakate wie "Orthodoxie oder Tod" oder "Johannes Paul II., Vorbote des Antichristen".
Kathpress
21. juni 2001