Hopp til hovedinnhold
Publisert 22. juni 2001 | Oppdatert 22. juni 2001

Mit seiner Reise in die Ukraine setzt Papst Johannes Paul II. viel auf eine Karte: Er will einen Durchbruch in den Beziehungen zur russischen Orthodoxie erreichen - Sein zweites großes Anliegen ist die Würdigung der vielen Opfer des Sowjetregimes und der NS-Verfolgung

"Kathpress"-Hintergrundbericht von Ludwig Ring-Eifel und Johannes Schidelko

Vatikanstadt, 21.6.01 (KAP) Sechs Wochen nach seiner Paulus-Pilger-Reise - bei der er auch mit dem Oberhaupt der orthodoxen Kirche von Griechenland zusammentraf - will Johannes Paul II. an diesem Samstag in ein weiteres Kernland der Orthodoxie reisen. Begleitet von Protesten aus dem Moskauer Patriarchat und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen reist er in die Ukraine.

Noch nie zuvor hat sich ein römischer Papst so weit in Richtung Moskau vorgewagt. In Kiew, der Stadt am Fluss Dnjepr, betritt er die Geburtsstätte der russisch-orthodoxen Kirche. Und noch nie zuvor hat Johannes Paul II. ein Land mit ostkirchlicher Bevölkerungsmehrheit gegen den Willen der dortigen orthodoxen Kirchenhierarchie besucht.

Die Ukraine-Reise ist für Johannes Paul II. eine neue Etappe zur Verwirklichung seiner ökumenischen Vision. Nach den spektakulären Besuchen in Bukarest und Tiflis im Jahr 1999 und unlängst in Athen und Damaskus versucht er jetzt einen weiteren Anlauf zur Annäherung an die Orthodoxie. Zugleich ist der Besuch in Kiew und Lemberg für ihn aber auch "Neuland": Er kommt in ein Land mit einer sehr komplizierten Kirchen-Szene, geprägt durch Konflikte zwischen Katholiken und Orthodoxen einerseits und dreier orthodoxer Flügel untereinander andererseits.

Bisher reiste der Papst stets auf Einladung oder zumindest mit Einverständnis der jeweiligen Kirchen in Länder orthodoxer Tradition: Zur erfolgreichen Premiere nach Rumänien kam er im Mai 1999 als Gast des orthodoxen Patriarchen Teoctist. In Georgien wenige Monate später war Präsident Eduard Schewardnadse die treibende Kraft, und Patriarch Elias II. zog mit. Nach Griechenland lud ihn nur die politische Seite - Präsident Constantinos Stephanopoulos - ein, aber der Heilige Synod der orthodoxen Kirche signalisierte sein Einverständnis zu einem päpstlichen Pilgerbesuch. Seine Reise in die Ukraine dagegen tritt der Papst trotz Bedenken in der Orthodoxie an.

Tatsächlich gibt es Strömungen im Moskauer Patriarchat, die die Pilgerreise des 81-jährigen Papstes beinahe wie eine Aggression aufzufassen. Eine Mischung nationalistischer und religiöser Parolen schallt dem Gast aus Rom entgegen. Kosaken als Bannerträger des Slawentums sind ebenso dabei wie orthodoxe Mönche und Priester. Im benachbarten Russland sekundiert der Nationalist Wladimir Schirinowskij mit papstfeindlichen Reden.

Metropolit Wolodymyr, Oberhaupt der dem Moskauer Patriarchat verbundenen autonomen ukrainisch-orthodoxen Kirche, spricht in Interviews von einer "Verfolgung" seiner Kirche durch die Katholiken in der West-Ukraine. Er hat angekündigt, an einer für Sonntag geplanten ökumenischen Begegnung mit dem Papst nicht teilnehmen zu wollen.

Wenn Johannes Paul II. trotz dieser feindlichen Stimmen in die Ukraine reist, ist dies überraschend. Offenbar setzt er darauf, dass er durch seine Reise mehr dazu beitragen kann, die noch bestehenden Spannungen zu überwinden, als wenn er weiter zuwartet. Jedenfalls lassen er und die beiden ukrainischen Kardinäle Lubomyr Husar und Marian Jaworski keine Gelegenheit aus, ihre lauteren Absichten zu betonen und für die Ökumene zu werben. Wer die ausgestreckte Hand des Papstes ausschlage, der sage damit mehr über sich selbst aus als über den Papst, warnte Husar unlängst in einem Rundfunk-Interview.

Laut Umfragen befürwortet eine breite Mehrheit in der Ukraine den Papstbesuch - sei es aus Neugierde, Sympathie oder in der Hoffnung, ihr Land werde durch den Besuch ins Licht der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Eine millionenfache Abstimmung mit den Füßen oder mit der Fernbedienung der Fernsehgeräte könnte die vollmundigen Protesterklärungen Lügen strafen, die den Papst trotz der offiziellen Einladung durch Präsident Leonid Kutschma zur "persona non grata" stempeln wollen.

Gegen die Proteste setzt die katholische Kirche vor allem auf die persönliche Ausstrahlungskraft des von Alter und Krankheit gebeugten Papstes und auf wirkungsvoll in Szene gesetzte Gesten. Die stärkste dieser Symbolhandlungen wird die Verbeugung vor den ukrainischen Opfern des Stalinismus sein. Bis zu acht Millionen Menschen fielen allein der großen Hungersnot nach der Zwangskollektivierung Anfang der dreißiger Jahre zum Opfer, Zehntausende starben in den diversen Säuberungswellen oder nach Deportationen nach Kasachstan oder Sibirien.

Mit dem Gedenken an die Opfer kann der Papst die Gläubigen des Moskauer Patriarchats ebenso ansprechen wie die mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Christen. Er trifft damit die Gefühlslage der ukrainisch-national Gesinnten so gut wie die der Polnischstämmigen oder auch jener, die einfach nur die Sowjetära hinter sich lassen wollen und ein Leben in Freiheit und Toleranz anstreben. Darüber hinaus will er damit auch die vielen tausend Pilger ansprechen, die aus allen Teilen des früheren Sowjetimperiums, bis hin nach Sibirien, zu den Gottesdiensten in der Ukraine erwartet werden.

Zur Seligsprechung für die Märtyrer der "unierten" und der lateinischen Kirche am 27. Juni in Lemberg - stellvertretend für die Millionen von Opfern der stalinistischen Herrschaft sowie der nationalsozialistischen Besatzungszeit - werden denn auch bis zu zwei Millionen Menschen erwartet, unter ihnen mehrere Hunderttausend Polen.

Die Bedenken der Orthodoxie gegen den Papstbesuch, die letztlich aus dem Streit um die Besitzrechte an einzelnen Pfarrkirchen in der West-Ukraine entstanden sind, dürften sich angesichts dieser historischen Dimensionen als zweitrangig ausnehmen. Papstreisen haben ihre eigene Dynamik, und die kam bisher auch den Ökumene-Visiten zu Gute. Vor allen Reisen in orthodoxe Länder war der Vatikan unsicher, wie der Besuch verlaufen, wie der Papst empfangen, wie seine Gastgeber, die Gesprächspartner und die Öffentlichkeit reagieren und wie seine Worte und Gesten ankommen würden. Die Reisen übertrafen dann alle Erwartungen.

Der 25 Jahre lang erfolgreiche theologische Dialog nach dem Konzil hat gezeigt, dass generell die Differenzen zwischen Katholiken und Orthodoxen weniger durch Dogmen bedingt sind - da besteht weitgehende Übereinstimmung - als vielmehr durch politisch-atmosphärische Spannungen. Natürlich trennen Rolle und Amt des römischen Papstes die Kirchen in Ost und West. Zu einer katholisch-orthodoxen "Eiszeit" hat jedoch erst die politische "Wende" von 1989 geführt. Vor allem das Moskauer Patriarchat, die größte orthodoxe Kirche, warf den Katholiken "Proselytismus" vor: Sie würden "auf orthodoxem Territorium" ihre Strukturen ausbauen und der orthodoxen Kirche mit unlauteren Methoden und in unökumenischem Geist Mitglieder abjagen.

Das Geflecht der Konfessionen in der Ukraine hat seine Wurzeln in der tausendjährigen Kirchengeschichte des Grenzlands. 988 wurden mit der Taufe des Kiewer Fürsten Wladimir (Wolodymir) die Christianisierung des Gebiets eingeleitet. Anders als die von Westen aus bekehrten Polen und Litauer wurden die Ostslawen von Byzanz aus missioniert. Die Metropoliten von Kiew unterstanden Konstantinopel, blieben allerdings gleichzeitig in lockerer Verbindung mit Rom.

Als 1240 die Mongolen Kiew eroberten, verlagerte sich das religiöse und politische Zentrum bald nach Nordosten, in das bis dahin unbedeutende Moskau. Die dorthin umgezogenen Kirchenführer nannten sich weiter "Metropoliten von Kiew und der ganzen Rus" und blieben nach Westen hin offen. Als Metropolit Isidor 1441 die Union seiner Kirche mit Rom durchsetzen wollte, wurde er vom Moskauer Fürsten Wassilij II. verhaftet, die Moskauer Synode wählte einen anderen Metropoliten. Seit 1589 hat Moskau den Rang eines eigenen, von Konstantinopel unabhängigen Patriarchats. Mit der sich rasch ausdehnenden Macht der Zaren im Rücken wurde dieses schließlich zur größten Ostkirche.

Der noch in Kiew verbliebene Klerus orientierte sich unterdessen unter polnisch-litauischer Herrschaft nach Westen und schloss sich 1596 durch die "Union von Brest" mehrheitlich Rom an. Als die West-Ukraine nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion fiel, wurde auch hier die "unierte" Kirche aufgelöst und dem Moskauer Patriarchat unterstellt, sie überlebte jedoch trotz Deportationen und Verhaftungen im Untergrund. Unter Gorbatschow wurde sie wieder legalisiert, inzwischen zählt sie mehr als fünf Millionen Mitglieder. Sie ist im Gebiet westlich des Bug die stärkste Konfession. Nach der Rückkehr in die Legalität sagten sich Hunderte von romtreuen Priestern und Pfarreien wieder vom Moskauer Patriarchat los. Seither gibt es mit der moskautreuen Hierarchie Streit um Kirchengebäude und kirchliche "Gebietsansprüche".

Die konfessionelle Landschaft in der Ukraine wurde in den letzten Jahren noch unübersichtlicher, als im Zuge der staatlichen Unabhängigkeit von der Sowjetunion ein nationales "Patriarchat von Kiew" unter dem einst moskautreuen Metropoliten Filaret ausgerufen wurde und zusätzlich eine weitere, sogenannte "autokephale" ukrainisch-orthodoxe Kirche entstand. Hinzu kommt noch die lateinische Kirche, der außer polnischstämmigen Gläubigen auch Menschen aus anderen Teilen des früheren Sowjetimperiums angehören.

Einer Hinwendung der Ukraine nach Westen stehen Regierung und Patriarchat in Moskau seit jeher feindlich gegenüber, zählt doch das gesamte Kiewer Stammland aus Moskauer Sicht zum "natürlichen" Einflussbereich Russlands. Ein Erstarken der nach Rom orientierten Kirche lässt daher in Moskau die Alarmglocken läuten. Für jene ukrainischen Politiker, die sich aus Russlands Übermacht freischwimmen wollen, ist die Westorientierung der Katholiken hingegen ein Element, das die Unabhängigkeit der Ukraine von Moskau untermauert. Nichts kann dies vor den Augen der Weltöffentlichkeit besser herausstreichen als ein Papstbesuch in Kiew, der Moskauer Einwänden zum Trotz stattfindet.

Dem ersten slawischen Papst liegt aber vor allem die Aussöhnung mit der Orthodoxie am Herzen; und seit dem Ende von Ostblock und europäischem Kommunismus gehört ein Besuch in Moskau zu seinen großen offenen Wünschen. Alle bisherigen Versuche zu einer Begegnung mit dem Moskauer Patriarchen Aleksij II. scheiterten - im Herbst 1996 im ungarischen Pannonhalma, ein Jahr später in Wien. Erst dann bahnte er die Kontakte zu anderen, kleineren orthodoxen Kirchen an - mit viel Erfolg. Zugleich konnte der lange Zeit ausgesetzte theologische Dialog wieder fortgesetzt werden. Nicht zuletzt vom ökumenischen Erfolg der Ukrainereise wird es abhängen, ob Johannes Paul II. doch noch einen Besuch in Moskau machen kann.

Kathpress
21. juni 2001

Mer om: